1. Der Hintergrund der Stärkenforschung
Der von Ihnen beantwortete Fragebogen VIA-IS („Inventory of Strengths“) zur Messung von psychologischen Stärken und Tugenden wurde unter der Leitung der Psychologen Christopher Peterson und Martin Seligman in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Values-In-Action (VIA) Institute entwickelt und wird in dieser Form seit 2004 eingesetzt. Die deutsche Adaptation wurde am Lehrstuhl für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik der Universität Zürich unter der Leitung von Prof. Dr. Willibald Ruch vorgenommen und wird fortlaufend weiterentwickelt (Ruch et al., 2010).
Der VIA-IS erfasst insgesamt 24 psychologische Stärken, die unter sechs Tugenden eingeordnet werden können. Die einzelnen Stärken und Tugenden werden weiter unten genauer beschrieben. Die vorliegende Zusammenfassung ist dazu gedacht, Ihnen eine allgemeine Vorstellung davon zu geben, wie man Ihre psychologischen Stärken (auf der Grundlage Ihrer Selbsteinschätzungen) beschreiben könnte.
Natürlich kann es sich im Rahmen dieser Ergebnisrückmeldung nicht um eine individuell und ausgiebig diskutierte Diagnose und Interpretation handeln. Sehr wohlerhalten Sie aber eine nach psychologisch fundierten Methoden erstellte wissenschaftliche Auswertung Ihrer Fragebogenergebnisse. Für die Interpretation dieser Ergebnisse haben wir für Sie die nachfolgenden Erklärungen erstellt. Doch zuerst möchten wir Ihnen kurz den Hintergrund des VIA-IS darstellen.
1.1 Positive Psychologie
Die Psychologie hat sich lange Zeit fast ausschliesslich mit negativen Aspekten des menschlichen Funktionierens beschäftigt (z.B. psychische Erkrankungen und deren Behandlungen). Mit der „Positiven Psychologie“ ist in den letzten Jahren ein neues Gebiet entstanden bzw. wieder berücksichtigt worden, das sowohl in der Forschung als auch in der Praxis einen anderen Schwerpunkt setzt. Positive Psychologie betreibt die wissenschaftliche Erforschung des optimalen menschlichen Funktionierens.
Es geht darum, Faktoren und Prozesse zu verstehen und zu fördern, die es Individuen und Gemeinschaften erlauben, ein „gutes Leben“ zu führen. Dabei sind drei Bereiche von besonderem Interesse: (1) Positive subjektive Erfahrungen (z.B. Glück, Lebenszufriedenheit), (2) positive individuelle Persönlichkeitseigenschaften (z.B. Ehrlichkeit, Tapferkeit) und (3) Institutionen, die positive Erfahrungen und Persönlichkeitseigenschaften ermöglichen unterstützen und fördern (Seligman & Csikszentmihalyi, 2000).
Mit dem Fragebogen VIA-IS sollen positive Persönlichkeitseigenschaften – Stärken und Tugenden – erfasst werden.
1.2 Stärken und Tugenden
Charakterstärken und Tugenden sind Kerncharakteristiken des menschlichen Funktionierens. Moralphilosophen und religiöse Denker haben im Laufe der Geschichte verschiedene Tugenden vorgeschlagen, denen ein universeller (allgemeingültiger) Charakter zugeschrieben wird (vgl. Dahlsgaard, Peterson & Seligman, 2005; McCullough & Snyder, 2000).
Bei historischen Untersuchungen treten die folgenden Kategorien von Tugenden immer wieder auf: Weisheit, Mut, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Mässigung und Transzendenz. Charakterstärken sind psychologische Merkmale – Prozesse oder Mechanismen –, welche die Tugenden definieren. Anders gesagt sind Charakterstärken unterscheidbare Wege, um eine oder mehrere Tugenden auszuüben beziehungsweise zu zeigen. Sie stellen einen Teil der Persönlichkeit eines Menschen dar.
Solche Persönlichkeitseigenschaften kann man anhand eines Fragebogens messen. Es wird angenommen, dass Charakterstärken über verschiedene Situationen und die Zeit hinweg relativ stabil sind. Sie können sich aber infolge von verschiedenen Lebenserfahrungen (weiter-) entwickeln und sich verändern (Peterson & Seligman, 2004).
1.3 Der Fragebogen VIA-IS
Der Fragebogen VIA-IS besteht insgesamt aus 240 Fragen bzw. Aussagen, die danach eingeschätzt werden, wie zutreffend oder unzutreffend sie sind (Beispiele: „Ich bin immer bemüht, an Weiterbildungsveranstaltungen teilzunehmen“, „Kompromissfähigkeit ist ein wichtiger Teil meiner Person“, „Ich betrachte immer verschiedene Seiten eines Problems“).
Wie schon oben angesprochen erfasst der VIA-IS damit 24 Charakterstärken. Jeweils mehrere Fragen bzw. Aussagen beziehen sich auf die gleiche Stärke und werden zusammengefasst. Zusätzlich lassen sich die 24 Stärken sechs verschiedenen Tugenden zuordnen (vgl. Abschnitt 3).